Lecture Demonstration am 2. Dezember 2006, Tanzhaus NRW Düsseldorf
Symposium GESTE (FILM UND TANZ). SICH | BEWEGEN
Ich will mithilfe der Tänzerinnen Veronika Zott und Barbara Motschiunik, die live vorführen, dem Theaterwissenschaftler Benjamin Schoppmann, sowie DVD- und Filmausschnitten, die Bezüge meiner choreografischen Arbeit zu Filmemachern und Komponisten und wiederum deren Verweise aufeinander skizzieren. Es handelt sich um den Experimentalfilmer Peter Kubelka, dessen „metrische Filme“ aus den 50er und 60er Jahren für Generationen nachfolgender Filmemacher relevant waren. So für Martin Arnold, der sich grundsätzlich auf Peter Kubelka beruft. Martin Arnold hat in den 90er Jahren eine Filmtrilogie geschaffen, die wiederum erneuernd auf andere Kunstformen wirkte. Zb auf die Ästhetik des Komponisten Bernhard Lang (bekannt vielleicht von seinem „Theater der Wiederholungen“, das heuer bei der Ruhr Triennale aufgeführt worden ist), der Methoden in die Neue Musik eingebracht hat, die von den Filmen Martin Arnolds beeinflusst sind. Ich wiederum arbeite als Choreografin mit Bernhard Lang zusammen und habe mich von ihm, und unabhängig davon von Peter Kubelka und Martin Arnold anregen lassen.
Was uns vier verbindet, ist eine strukturelle Herangehensweise an Bewegung, ob diese Bewegung nun musikalisch, filmisch oder tänzerisch definiert ist. (Ich spreche hier immer von Bewegung und nicht von Geste: weil Bewegung der Begriff ist, den wir untereinander verwenden; weil Geste ein Begriff aus der Barockmusik ist, zum Auflisten illustrativer musikalischer Zeichen, und deshalb für uns unpassend; im Tanz wiederum wird Geste zb in der Laban-Notation verwendet für eine Bewegung, die kein Gewicht trägt, eine zu einschränkende Bestimmung). Zum Begriff der Bewegung im Film komme ich später (Kubelka).
Um gleich zur Anschauung zu kommen, die erste Demonstration der Tänzerinnen: von Veronika und Barbara je eine dreiminütige Sequenz mit CD-Zuspielung
Christine Gaigg / 2nd Nature & Bernhard Lang, TRIKE summer (2004)
Live: Veronika Zott
Swisher / A Room full of Shoes, Track 2 und 3 [3:10 min]
Christine Gaigg / 2nd Nature & Bernhard Lang, TRIKE summer (2004)
Live: Barbara Motschiunik
ZigZag / A Room full of Shoes, Track 4 und 5 [3:10 min]
TRIKE summer
Physische Bewegung und musikalische Bewegung sind hier unabhängig voneinander geschaffen worden, aber tun prinzipiell das Gleiche. In „A Room Full of Shoes“ arbeitet sich ein Computerprogramm mikrostotternd – jitternd ist der Fachausdruck, eine Sonderform von Loop - durch eine Orchesteraufnahme erratisch vor, zurück, vor. Aus ein paar Takten Orchesterklang wird so ein halbstündiges Stück, das in einer eigenartigen Schwebeposition zwischen Nervosität und Meditation hängt.
Wir verwenden in unserer Loop-Ästethik einen Begriff von Wiederholung, der zwar vom Minimalismus kommt, aber entgegen diesem nach Komplexität strebt. Wiederholung trägt dann Komplexität in sich, wenn sich zb im zu wiederholenden Element ein oder mehrere Parameter ändern oder wenn die Regeln der Generierung der Wiederholung komplex sind. Dazu müssen sehr kleine Module extrahiert werden. Die Kleinheit ist in jedem Medium natürlich anders klein, in der Musik arbeitet man mit Millisekunden, während die tänzerische Bewegung zumindest der Intention nach noch Impuls und Richtung erkennen lassen muss, damit sie geloopt werden kann.
Bernhard Lang und ich erforschen unregelmäßige, nicht-statische Operationen dieser kleinsten Einheiten. So bewirken Parameter-Verschiebungen im wiederholten Material geradezu das Gegenteil einer mechanisch genauen Wiederholung. Vorbild dafür ist das Scratching aus der DJ Kultur. Die Bewegung erscheint wie unter dem Mikroskop betrachtet: Immer wieder kurz erkennbar leuchtet so etwas wie Bedeutung auf, sogar Psychologie und Narration, nur um gleich wieder manipuliert zu werden. Ein flirrendes Bewegungsbild, das ständig zwischen festgehaltener Form und Veränderung oszilliert.
Bernhard Lang bezieht sich mit „A Room full of Shoes“ ausdrücklich auf den Filmemacher Martin Arnold. Martin Arnolds Trilogie (Pièce Touchèe 1989, Passage à l’acte 1993 und Alone.Life Wastes Andy Hardy 1998) besteht aus Found Footage von jeweils ca 20 Sekunden langen Szenen aus Hollywood Filmen, die er in einzelne Bildkader zerlegt und multipliziert. Er erzeugt so durch Wiederholung, Rückwärtslaufen und Umkehrungen Sprünge in der Bewegung. Arnolds Arbeitsvorgänge sezieren das Material und kehren Sexualität und Gewaltstrukturen in scheinbar harmlosen Filmszenen hervor. In dem zwölfminütigen Film, von dem ich den Anfang zeige, ist es eine Szene aus „To Kill a Mockingbird“ (USA 1962), die die Machtkonstellation einer amerikanischen Familie am Frühstückstisch realisiert.
Martin Arnold, Passage à l’acte (A 1993), 16mm, S/W
DVD, Anfang [4:30 min]
Im Vergleich zum Film- oder Videobild, wie wir es hier gesehen haben, bietet die menschliche körperliche Bewegung einige ganz wesentlich andere Parameter, um einen vorskizzierten Bewegungsweg im zeitlichen Vor/rück entlang zu wandern. Wir haben uns bei der Arbeit an TRIKE summer damit beschäftigt, was es körperlich heißt, eine ursprünglich lineare, organische Bewegung in Loop-Abschnitte zu unterteilen, wie man diese Loop-Punkte so setzt, dass sie überraschend sind, auch entgegen der Schwerkraft, mittendrin in einer Bewegung und dass man trotzdem nicht zu schnell ermüdet. Außer der Variation in der Wiederholung bezüglich Tempo und Dynamik gibt es noch die Abweichung von der Originalbewegung in koordinativer Hinsicht. Während der Zuschauer sich noch an die ungleichmäßig scratchende Bewegung gewöhnt, kann die Tänzerin Koordinationen zwischen Kopf und Arm, Arm und Bein, zwischen links und rechts verändern und so eine prekäre Situation herstellen. Veronika kann das besonders gut:
Christine Gaigg / 2nd Nature & Bernhard Lang, TRIKE summer (2004)
Live: Veronika Zott
Rubicube / Room Full of Shoes, Track 6 und 7 [3:10 min]
Die Herausforderung für die Tänzerin besteht im Schwebezustand zwischen linear gezeichneter Bewegung und einer Ausführung, die im Gegensatz dazu stottert, sich auffaltet und vervielfältigt. Sie muss ständig die Zukunft der Bewegung vor Augen haben und gleichzeitig an jedem Punkt genau wissen, was sie gerade zuvor getan hat, um es im Weitergehen geringfügig variieren zu können. Die Verantwortung für Timing, Dynamik, Setzung der Koordinationsveränderungen liegt bei ihr. Sie muss aufmerksam genug sein, um nicht in eine Routine des automatischen Wiederholens zu verfallen, muss präzise manche Aspekte beibehalten und andere verändern und sich darüber klar sein. Fragen zu Synchronisation, Präzision und Fehler sowie das ständige Wechseln zwischen Kürzest-, Kurz und Langzeitgedächtnis sind nur einige der Themen, die allein die Erarbeitung dieser Bewegungstechniken anregen.
Die Komplexität steigert sich geradezu didaktisch in diesem Stück, das wie eine CD Track für Track angeordnet ist. Mehr Tänzerinnen, Bewegung durch den Raum, mehr Tonspuren. Aber nie ist Bewegung authentisch, organisch oder zielgerichtet. Am Schluss gibt es als Bonustrack das Ausgangsmaterial, das wie bei Arnold jeweils ca 20 Sekunden für eine Nummer ist.
Die Erweiterung des Projektes TRIKE im Jahr 2005 umfasste sechs live Darsteller, zusätzlich zu den drei Tänzerinnen eine Schauspielerin, ein Schauspieler und ein Musiker. Bei der Problematik, wie die tänzerischen und die schauspielerischen Gesten gleich gewichtet sein können, kam ich wieder auf die Arbeit zurück, die ich davor, 2003, im Rahmen des Filmfestivals Viennale gemacht hatte, ADEBAR/KUBELKA.
ADEBAR/KUBELKA
Als ich damals von Hans Hurch, dem Direktor der Viennale eingeladen wurde, ein Bühnenstück in der Nachbarschaft von Film zu realisieren, nahm ich Kubelkas ersten metrischen Film „Adebar“ (1957) zum Ausgangspunkt. Mein Projekt ADEBAR/KUBELKA thematisiert die Schnittstellen filmischer und tänzerischer Bewegung, wie sie der Film selbst schon zwischen Tanzlokal und kinematografischer Behandlung thematisiert hatte.
Peter Kubelka, Adebar (A 1957), 16mm, S/W [1:09 min]
DVD eines Vortrags mit Filmvorführung im Filmmuseum Wien
Peter Kubelka ist insofern der Vater jener Loop Ästhetik, die Lang, Arnold und ich verfolgen, als er in den fünfziger Jahren für sich die Erkenntnis gewonnen hatte, dass Film nicht per se Bewegung sei, wie das die Erfindung des Films im Vergleich zur Fotografie suggerieren wollte. Sondern er sagt: Film ist eine Abfolge von 24 projizierten Standbildern in der Sekunde, was wir beim Zuschauen als Bewegung interpretieren. Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis hieß für Kubelka, den Materialbegriff im Film spezifisch zu definieren. Die Essenz des Films liege nicht in der Imitation von Theater oder Literatur, wie das der Hollywood Film tue, sondern im Arbeiten mit den einzelnen Filmkadern. Damals hieß Arbeit mit den Filmkadern wortwörtlich manuelle Arbeit. Kubelka klebte Filmstreifen zu Schleifen zusammen, legte sie auf dem Fußboden aus und klebte dann Kader für Kader übereinander nach einer ausgeklügelten Partitur, in der jedes Element mit jedem anderen in zeitlicher Relation steht.
Das filmische Material von „Adebar“ sind acht Einstellungen von schemenhaft erkennbar tanzenden Menschen. Diese Menschen tanzen zu einer Musik, die wir nicht hören. Was wir hören, ist der Soundtrack des Films, Pygmäenmusik, den Loop einer Phrase, die 26 Kader, also etwas über eine Sekunde lang ist. Diese Länge bestimmt die Länge der Einstellungen, unabhängig von der gefilmten Bewegung, ist jede Einstellung entweder 26 Kader, oder doppelt oder halb so lang. Von diesen Einstellungen gibt es bezüglich der Form drei Varianten: – die Bewegung, - Standbild der Anfangsposition, - Standbild der Endposition. Kubelka selbst spricht vom sentimentalen Inhalt des Films – Menschen wollen sich berühren, zueinander kommen, sie können aber nicht – und der kalten Technik, der kinematografischen Maschine.
Es gibt einen genau dokumentierten Bauplan dieses Films, mit einer Auflistung aller Parameter. Für eine transmediale Übertragung haben nun der Komponist Max Nagl, der Bühnenbildner Philipp Harnoncourt und ich jeweils den Bauplan in unser Medium transkribiert.
Die Choreografie entstand in einem aufwendigen Verfahren von Bewegungsrecherche und Schnittmethode. Dass Film in der Kamera und am Schneidetisch entsteht, dieses Schneiden musste ich in die TänzerInnen hineintragen. Das Besondere an „Adebar“ ist ja die Überlagerung zweier Medien: tanzende Menschen (hot) und das maschinelle Medium Film (kalt). Außerdem kommt für die Live Version die räumliche Ausdehnung dazu und dass statt einzelner Kader fünf TänzerInnen räumlich und zeitlich organisiert werden mussten.
Für die Bewegungsforschung war es deshalb notwendig, alles Dekorative zu entfernen und einen Pool an sehr klaren und einfachen, aber koordinativ interessanten Bewegungssequenzen zu kreieren. Dabei haben sich drei Gruppen herausgebildet: Bewegungen, bei denen sich die Koordination zwischen Oberkörper und Unterkörper sukzessive verschiebt (so wie es im Film Einstellungen von tanzenden Beinen und Brusteinstellungen gibt), indem oben und unten verschieden gezählt wird, zb Beine 7 Zähler und Oberkörper 4, oder Füße 2 Zähler und Arme 7.
Live: Barbara zeigt ein paar Loops
zweite Gruppe: Bewegungen, die Basisaspekte von Tanz vermitteln, indem sie rhythmisch sind und ihren perkussiven Ton selbst erzeugen; dritte Gruppe: kurze Begegnungen zwischen Menschen (das Thema des Films), entweder aufrecht pulsierend oder am Boden liegend und fließend.
Aus diesen drei Bewegungspools habe ich dann für alle fünf TänzerInnen vom Filmbauplan abgeleitete durchgehende Partituren geschrieben, die im Metrum 60 (auf das der Komponist und ich unabhängig voneinander gekommen sind) durchgezählt werden, so dass es möglich ist, dass die einzelnen Darsteller sich immer wieder kurz zu zweit oder dritt treffen, wieder auseinander gehen und alle fünf im Prinzip das gleiche gestische Material verwenden, aber für maximal 6 Sekunden sind zwei Tänzer unisono.
Live: Barbara zeigt 1 Minute aus ihrer Partitur
So einfach das Material ist, so schwierig ist die mentale Leistung für die TänzerInnen. Es reicht schon eine Unaufmerksamkeit, um bei einem der kurzen Duette nicht rechtzeitig da zu sein und nicht zu wissen, an welcher Stelle der Choreografie man ist. Gerade diese Konzentration ist mitverantwortlich für den hypnotischen Effekt. Für den Zuschauer wiederum gilt die Anforderung, dass er sich „einschauen“ muss, dabeibleiben muss. Dann allerdings, nach 5 bis 7 Minuten, passiert etwas mit einem, man ist „synchronisiert“. Daher zeige ich einen Ausschnitt von ca 5 Minuten, um eine Ahnung davon zu vermitteln.
Christine Gaigg / 2nd Nature, ADEBAR/KUBELKA (2003)
Tanzquartier Wien, 25.10.03
DVD Ausschnitt aus dem zweiten Teil ab 27:30 [5:00 min]
TRIKE
Das sich „Einschauen“ gilt auch für TRIKE (2005), der Fortsetzung der Arbeit mit Bernhard Lang. Mit ADEBAR/KUBELKA im Gepäck sind wir daran gegangen, die spezifische Darstellung der SchauspielerInnen und TänzerInnen zu entleeren, so was wie „armen“ Zeichen den Vorzug zu geben, die in der Kombination miteinander sich entfalten anstatt in Konkurrenz zueinander zu treten. Der erste Teil von TRIKE ist eine bewegliche Klanglandschaft über 35 Minuten. An diesem Punkt der Zusammenarbeit haben wir nicht mehr Musik und Bewegung aufeinander abgebildet wie in TRIKE summer, sondern ausschließlich die DarstellerInnen selbst erschaffen den Sound.
Im ganzen Stück kommen nur Looping-Operationen vor, entweder eins zu eins oder vor/rück, in ständig gebrochenen Samplelängen, und gescratcht. Wie auch in ADEBAR/KUBELKA lag der Reiz darin, ein Regelwerk zu notieren, das visuelle und akustische Rhythmen mischt. Hier ist das Korsett bei weitem nicht so eng wie in ADEBAR/KUBELKA, es gibt kein durchgängiges Metrum, sondern ein Cueing-System, das die fünf DarstellerInnen und den Musiker sich aufeinander beziehen lässt. Für den Zuschauer wird durch das räumliche Set sowohl kontemplatives Sehen als auch aktives detailgenaues Hinschauen, ein ständiges Hin und Her zweier Rezeptionsmodi möglich.
Christine Gaigg / 2nd Nature & Bernhard Lang, TRIKE (2005)
Tanzquartier Wien, 24.11.05
DVD Ausschnitt aus dem ersten Teil, Kapitel 3 [3:40 min]
Damit sich die Gesten der SchauspielerInnen und TänzerInnen so mischen, dass es nicht weiter von Belang ist, wer welche Profession ausübt, haben wir alle zur selben Zeit im selben Raum das Ausgangsmaterial definiert, aber dieses Mal hat jeder sein eigenes Material, das er dann durch die Operationen schickt.
Barbara und Veronika haben zb diese Phrasen als Grundlage für 35 min:
Live: die Tänzerinnen zeigen ihre Kernphrasen, je ca 30 Sekunden (die sie geradezu „suchen“ müssen, weil in ihrem Körpergedächtnis eher das Prozessieren des Ausgangsmaterials gespeichert ist als das Material selbst)
und bearbeiten es dann mit Loops, vor/rück, und Scratch.
Live: Veronika zeigt anhand ihrer Teilphrasen „Unterhose“ und „Fliege“ den Unterschied zwischen eins zu eins Loop und vor/rück
Live: Barbara zeigt mit der Teilphrase „Hexe“ wie durch die Sampleunterteilungen Rhythmuswechsel entstehen
beide zusammen in einer Sequenz, wo sie unterschiedliche Rhythmen gleichzeitig halten müssen
Veröffentlicht in:
Reinhold Görling, Timo Skrandies, Stephan Trinkhaus (Hg.)
Geste. Bewegungen zwischen Film und Tanz
2009, transcript Verlag Bielefeld